Der lange dem Duns Scotus zugeschriebene Traktat des Thomas von Erfurt wird hier erstmals in einer deutschen Übersetzung vorgestellt. Er gilt als der abschließende Höhepunkt der spekulativen Grammatik, einer der gewichtigsten Ausformungen der spätmittelalterlichen Sprachtheorie. Von Bedeutung dürfte dieser Text aber nicht nur für Mediävisten sein. Daî der Traktat auch in neueren sprachtheoretischen Ansätzen eine zentrale Rolle spielt, zeigt seine Wiederentdeckung durch Charles S. Peirce, Martin Heidegger oder den Strukturalisten Roman Jakobson. Übersetzung und Einleitung verstehen sich deshalb nicht nur als eine Verständnishilfe für den Traktat, sondern auch als ein Hinweis auf seinen historischen wie systematischen Grundlagencharakter.Grundlagencharakter hat hier vor allem Thomas’ Theorie von einer grammatischen Bedeutsamkeit der Sprache. Danach finden sich in allen Sprachen dieselben grammatischen Formen und Funktionen und können insofern universal als die bedeutsamen Verhaltensweisen »der« Sprache (modi significandi) beschrieben werden. Freilich ist dies die Sicht eines mittelalterlichen Universalismus, der einem heutigen Sprachverständnis kaum mehr Stand hält. Von daher liegt die wirkliche Herausforderung des Traktats, die nicht nur bei den Zeitgenossen für heftige Abwehrreaktionen sorgte, sondern die auch heute nichts von ihrer Provokanz eingebüßt hat, in seiner Einsicht, daß die grammatischen Formen eine prinzipiell andere Bedeutungsstruktur besitzen als das lexikalische Inventar einer Sprache. Mit der Herausarbeitung einer solchen grammatischen Signifikationsstruktur bietet der Traktat einen äußerst lehrreichen Einblick in die Genese dessen, was mittlerweile unter dem Schlagwort der »Semantik von Formen« eine facttenreiche Wirkung entfaltet hat.
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