Von den gründen weshalb Shakespeares Sonnette bei uns noch wenig gewürdigt wurden, ist abgesehn von der anforderung sehr hohen verse-verständnisses der wichtigste innere: dass unsre gewohnheit alle dichtung durchaus romantischc sieht, diese vierzehnzeiler aber, obwohl oberste dichtung, durchaus unromantisch sind. Der äussere betrifft den gegenstand. Hier wurde jahrhundertlang von herausgebern und auslegern unfruchtbar gestritten, was spiel und was gefühl sei, wer der blonde jüngling und wer die schwarze dame der lezten abteilung: hier haben sie geraten, gerenkt und geirrt bis zum völligen verhören des seelen-tones. Nicht nur in der fortpflanzungsreihe [I-XVII] wo freilich der geist mehr verborgen liegt - nein durchgängig entdeckten die mehr stumpfen gehirne in auftrag gearbeitete stilübungen, die mehr niedrigen ihren ganzen eignen ekel: kaum eines aber erkannte den gehalt: die anbetung vor der schönheit und den glühenden verewigungsdrang. Unsrer tage haben sich menschen und dichter unverhohlen ausgesprochen: im mittelpunkte der sonnettenfolge steht in allen lagen und stufen die leidenschaftliche hingabe des dichters an seinen freund. Dies hat man hinzunehmen auch wo man nicht versteht und es ist gleich töricht mit tadeln wie mit rettungen zu beflecKen was einer der grössten lrdischen für gut befand. Zumal verstofflichte und verhirnlichte zeitalter haben kein recht an diesem punKt worte zu machen da sie nicht einmal etwas ahnen können von der weltschaffenden kraft der übergeschlechtlichen Liebe.
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